Interview mit Judoka Evelyne Tschopp

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Judoka Evelyne Tschopp kämpft für die Schweizer Nationalmannschaft in der Kategorie -52kg. 2016 qualifizierte sie sich für die Olympischen Spiele in Rio und zu ihren bisher grössten Erfolgen zählen die zwei Bronzemedaillen an den Europameisterschaften 2017 und 2018. 

Neben ihrer sportlichen Karriere studiert die 29-jährige Muttenzerin Medizin – ein Studium, das viel Zeit in Anspruch nimmt. Von ihrer sportlichen Karriere hat sie sich jedoch nie ablenken lassen – Evelyne zieht ihr Ding seit jeher durch, mit einer Entschlossenheit, die nicht zu stoppen ist.

Heute spricht sie mit uns über ein im Judo immer wieder wichtiges Thema: Das Kampfgewicht und ihr Weg dahin.


Evelyne, seit rund zehn Jahren wirst du von der Budo-Sport AG unterstützt. Was für eine Bedeutung hat dieser Partner für dich?

Als unser Ausrüster natürlich eine sehr wichtige. Eine Judogi Marke aus der Schweiz an internationalen Turnieren präsentieren und tragen zu können, macht natürlich doppelt Freude. Budo-Sport geht stark auf unsere Wünsche und Anliegen ein, das Team ist immer sehr bemüht und schnell, freundlich und zuvorkommend. Es macht Spass, mit ihnen zu arbeiten.


Im April fand die EM statt, im Mai folgte der Grandslam in Kazan – wo du die Bronzemedaille geholt hast, herzliche Gratulation! – und im Juni folgt die WM. All diese wichtigen Wettkämpfe sind zudem noch massgeblich für die Olympia-Qualifikation. Wie hoch ist der Druck momentan?

Dieses Jahr geht durchaus alles Schlag auf Schlag. Der offizielle Qualifikationsstichtag für die Olympischen Spiele ist der 28. Juni, nur gerade einen Monat vor Beginn. Corona hat alles etwas auf den Kopf gestellt und die Deadlines sind knapper als gewohnt. Ich konzentriere mich voll auf jene Wettkämpfe, die unmittelbar anstehen. Klar liegt der Fokus aber auch auf den Spielen - doch um dort zu kämpfen, muss die Form eben auch vorher schon stimmen. Wer an der WM bereit ist, sollte mit dem gewissen Feinschliff auch einen Monat später in Topform sein. Das grosse Ziel in diesem Jahr ist klar Tokyo und die WM ein Schritt auf diesem Weg. Der Druck ist sicher aufgrund der anstehenden Spiele etwas grösser, dazu kamen noch die Uniprüfungen, welche ich abschliessen musste. Auch die Unsicherheit ist dieses Jahr etwas grösser – nicht nur aufgrund der knappen Deadlines, sondern auch aufgrund der gesamten flexibleren und spontaneren Organisation aufgrund von Corona.

 

Wie hoch ist der Trainingsload in dieser Phase?

Aufgrund der Prüfungen im Studium konnte ich nicht an allen Trainingslagern teilnehmen, aber ich habe immer meine zwei Trainings pro Tag durchgezogen – nicht mit internationalen Partnern, wie das in den Trainingslagern der Fall gewesen wäre – aber ich konnte doch mit hoher Qualität trainieren. Der Trainingsload ist momentan relativ hoch, denn in dieser Zeit muss ich auf das Gewicht schauen, weshalb ich auch physisch niedrigintensive  - aber zeitintensive Cardio-Einheiten absolviere. Corona hilft bezüglich Gewicht nicht gerade, denn der Zugang zu Sauna und Fitness ist beschränkt – normalerweise die besten Mittel zur Gewichtsreduktion. Regelmässig werden in der Zeit zwischen den Wettkämpfen intensive Trainingsspitzen gesetzt, um Intensität und hohen Impact aufrecht erhalten zu können.

 

Wie sieht deine Ernährung im Vorfeld eines Wettkampfes aus?

Vor einem Wettkampf ist jeweils ein Balanceakt mit der Gewichtsklasse zu meistern. Persönlich bestehen meine Trainingseinheiten während den letzten Tagen vor dem Wettkampf nahezu ausschliesslich aus Jogging. Judo trainiere ich weniger als andere, da der Energiehaushalt für ein qualitativ hochstehendes Judo-Training nicht ausreichen würde. Also trainiere ich Judo bis zu jenem Zeitpunkt, an welchem ich das gute Niveau noch halten kann, und wechsle rund 5 Tage vor dem Wettkampf vollständig auf Cardio, um Gewicht zu verlieren. Ergänzt wird dieses Training bestenfalls von leichten Technik-Einheiten.

 

Das klingt nach unglaublich viel Selbstdisziplin. Hilft dir eine Ernährungsberatung bei der Planung und Umsetzung?

Ja, meine Ernährungsberaterin war selber Judo-Spitzensportlerin und weiss deshalb genau, wo die Herausforderungen liegen. Mit ihr bespreche ich alles, was ich rund um meine Ernährung wissen muss. 

 

Wann und wie erfolgt das Wiegen vor dem Wettkampf?

Am Vorabend des Wettkampfes wird um 20:00 Uhr gewogen. Bis dahin gilt es also durch richtige Ernährung, Cardio-Einheiten, Saunagänge und Plastik-Schwitzanzüge das Gewicht zu minimieren, damit man in der richtigen Gewichtsklasse bleibt. Nach dem Wiegen kann man seinen Energiebedarf mit Essen und Trinken wieder decken. Allerdings darf man nicht mehr als 5% des Gewichts zulegen, das man beim Wiegen hatte. Bei mir sind das 54,6kg. 

Am Wettkampftag werden dann auch vier Athletinnen und Athleten pro Gewichtsklasse ausgelost und nachgewogen.

 

Was isst du unmittelbar vor dem Wettkampf?

Salzstängeli, Biberli und Birnweggen. Die sind immer mit im Gepäck. Zudem bin ich am Wettkampf nicht die Wassertrinkerin; ich bevorzuge Eistee und Powerade.

 

Du bist nicht nur Sportlerin, sondern auch Medizinerin. Machst du dir Gedanken um deine Gesundheit bei diesem „Spiel mit dem Gewicht“?

Zum Teil denke ich schon, dass es nicht das Intelligenteste ist für die Organe, beispielsweise gerade für die Nieren. Oder aber wenn man Athleten sieht, bei welchen man das Refeeding-Syndrom erkennen kann. Für mich ist es einfach wichtig, eine Balance zu finden, damit ich meine physische Leistung abrufen kann, aber mich nicht ständig mit dem Gewicht befasse. Da muss man mental schon aufpassen. 

 

Wo findest du – neben Spitzensport und Studium – einen Ausgleich und Ruhe im Leben?

Mein Ruhepol sind meine Katzen, die mich am Abend nach dem Training zu Hause bereits erwarten. Im Sommer bin ich zudem regelmässig auf meinem Motorrad unterwegs. Zudem geniesse ich auch gerne die Zeit mit meiner Freundin.

   

 

Du hast dich im Alter von 22 Jahren geoutet. Ein schwieriger Schritt?

Durch meinen Fokus auf den Sport war ich bereits in der Schule etwas eine Exotin. Im Sportunterricht war ich abwesend, nach der Schule ging’s sofort ins Training, Ausgang hat mich nie interessiert und mein soziales Umfeld fokussierte sich eher auf die Judoszene. Ich war abgeschirmt und entsprach noch nie der Norm. Im Judosport gibt es durchaus einige lesbische Athletinnen, ein Geheimnis wurde darum nie gemacht, ausserdem wird man im Judosport zu Akzeptanz und gegenseitigem Respekt erzogen – bereits im Kindesalter. Dies sind sicher Gründe dafür, dass mir das Coming out nicht allzu schwer fiel, jedenfalls nicht im Sportumfeld. Das Ganze mit den Eltern zu thematisieren, ist dann sicher ein etwas weniger angenehmer Schritt. 

 

Was gibst du jungen Menschen mit, welche diesen Schritt noch vor sich haben und sich mit Ängsten konfrontiert sehen?

Je nach Familie und Kultur ist es wohl ein Ding der Unmöglichkeit, auf Akzeptanz zu stossen. Für eine solche Person ist ein Coming out sicher extrem schwierig. Allen, die jedoch in einer ähnlichen Situation und in einem ähnlichen Umfeld unterwegs sind, wie ich, kann ich Offenheit und Ehrlichkeit empfehlen – damit bin ich immer gut gefahren. An die grosse Glocke hängen würde ich das Thema jedoch wiederum auch nicht, denn dies würde die Normalität, mit welcher das Ganze betrachtet werden sollte, wieder verschwinden. Eigentlich geht die Sexualität ja niemanden etwas an. Ich denke, am besten ist es, zu sich selber zu stehen. Man sucht sich das ja nicht aus. Man akzeptiert es selber, und das Umfeld hat dann die Wahl: Akzeptiert’s oder akzeptiert’s nicht, es ist halt einfach so. Sich zu verstellen ist zu anstrengend. Anecken ist wohl unumgänglich, aber ich bin wie ich bin, und stehe dazu.

Posted in: Kampfsport Insights