Mentaltraining im Karate - Interview mit Elena Quirici

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  • Fünffache Europameisterin und WM-Bronze-Gewinnerin.
  • Aktuelle Nr. 4 der Welt in der Disziplin Kumite -68kg.

Elena Quirici ist eine erfolgreiche Spitzensportlerin im Karate, in der Disziplin Kumite – im Juni konnte sie sich für Tokyo 2020 qualifizieren. Budo-Sport hat die 27-jährige Athletin auf ihrem gesamten Karriereweg unterstützt und ist stolz darauf, ihr Ausrüster zu sein. Ihre Topleistungen verdankt sie jahrelangem, hartem und konsequentem Training. Wir wollten von ihr wissen: Inwiefern ist Mentaltraining für sie relevant?

Elena, welchen Bezug hast du zu Budo-Sport AG?

Budo-Sport war mein erster Unterstützer ausserhalb meiner Familie, die erste Unternehmung, die an mich geglaubt hat und von Beginn an für mich da war. Budo-Sport hat etwas in mir gesehen, als ich noch nichts erreicht hatte; als ich noch ein kleines Mädchen mit grossen Träumen war. Und danach waren sie stets an meiner Seite – auch als ich dann die ersten Erfolge feiern durfte. Die Beziehung zu Budo-Sport ist für mich deshalb sehr speziell. Es ist mehr als nur ein Ausrüster, es ist eine richtige Partnerschaft.

Du trainierst in der aktuellen Phase zwischen 20 und 30 Stunden pro Woche, damit ist das reine physische Training gemeint. Hinzu kommen täglich Regenerations- und Mentaltraining-Einheiten. Seit wann ist Mentaltraining für dich ein Thema?

Als ich 17 Jahre alt war, nahm ich erste Kontakte mit Mentaltrainern auf. Doch da war ich noch sehr unbeschwert, der Kopf war frei. Mit dem Erfolg und insbesondere mit dem Ziel, erfolgreich zu bleiben, kam das Bedürfnis nach Mentaltraining auf. Erfolgreich zu bleiben ist viel schwerer als erfolgreich zu werden. Wenn man erfolgreich ist, sind die Erwartungen von aussen sehr hoch, man muss seine Höchstleistung konstant wieder abrufen. Ich mag mich erinnern, als ich aufgrund meiner Fussverletzung mit Krücken in die Halle lief und meine Operation erst noch bevorstand. Da konnte ich kaum gehen, und doch wurde bereits erwartet, dass ich an den Europameisterschaften drei Monate später gewinnen würde. Auf solche Erwartungen gelassen zu reagieren, verlangt mental schon viel ab. 

Gehört das Mentaltraining fix in deinen Trainingsplan?

Momentan schon. Es gibt allerdings Momente, wo ich auch bewusst eine Pause mache. Dann stosse ich wieder auf ein Problem, das ich alleine nicht lösen kann. Hier hole ich dann professionelle Unterstützung. Ich habe in meiner bisherigen Karriere zudem mit verschiedenen Mentaltrainern zusammengearbeitet. So erhalte ich immer wieder neue Inputs und Lösungsansätze, was ich als positiv empfinde.

Wie gehst du mit Druck um?

Den Druck von aussen sehe ich mittlerweile als etwas Positives, was sehr schön ist. Es ist für mich nicht mehr ein Druck, sondern Anerkennung; die Leute glauben an mich. Anders ist es mit dem Druck, den ich mir selber mache; der ist sehr, sehr hoch und ich verlange oft zu viel von mir selber. Diese Thematik ist auch ein grosser Teil des Mentaltrainings. Der Druck soll mir nicht im Weg stehen, sondern mich tragen. Ich muss ihn als etwas Positives wahrnehmen: Der Druck ist ein Privileg, das ich mir hart erarbeitet habe und so viele Menschen würden sehr viel geben, um in dieser Position sein zu dürfen.

Der Druck seitens Eltern ist im Spitzensport immer wieder ein Thema, insbesondere die jungen Nachwuchsathletinnen und –athleten leiden oft darunter. Wie war das bei dir?

Ich habe mit meiner Familie sehr viel Glück. Meine Eltern unterstützen mich – auch heute noch - immer, machen aber keinen Druck. Wenn ich als Kind nach einer Niederlage nach Hause kam, war das in Ordnung – und das ist das Allerwichtigste, denn ein Kind braucht sein Zuhause und soll dort nicht der Spitzensportler sein, sondern einfach nur das Kind. Mein Vater war selber Eishockey-Profi und meine Mutter ist Karate-Lehrerin, die beiden waren deshalb immer schon sensibilisiert für den Spitzensport. Nicht bei allen sieht es zu Hause jedoch so aus, deshalb finde ich es sehr wichtig, dass der Verband und die Clubs die Eltern sensibilisieren. Die Eltern müssen begreifen: Spitzensport ist nicht alles – das Allerschönste für ein Kind ist, wenn es Spass hat. Und wer weiss, vielleicht stellt sich dann der Erfolg ein.

Nach deiner Fussverletzung konntest du an der EM 2018 gleich zwei Medaillen nach Hause holen. Wie hast du das mental hingebracht?

Ich habe den Vorteil, dass ich Situationen und Gegebenheiten schnell annehme. Klar war ich traurig nach der Verletzung, aber das dauerte nur ungefähr einen Tag, danach lag der Fokus gleich wieder auf der anstehenden EM, auch wenn klar war, dass noch operiert werden musste. Der Plan war vorhanden, und das Ziel war klar: Bis zur EM musste ich wieder fit sein. In solch einem Moment zu hadern, bringt dir nichts, auch wenn es sicher manchmal schwierige Momente gab. Ich hatte allerdings gar nicht genug Zeit, allzu viel darüber nachzudenken, denn diese Zeit war mit den ganzen Trainings, Arzt- und Physioterminen sehr durchgetaktet. Ich hatte volles Vertrauen in meinen Arzt und den Physiotherapeuten, und demnach auch volles Vertrauen in meinen Fuss. Für mich stand dann eher im Fokus: Bin ich körperlich fit genug fürs Turnier?

Welche Bedeutung kommt deinen Fans & Supportern zu?

Eine sehr grosse: So viele Leute unterstützen mich und manchmal war mir das gar nicht so bewusst. Man sieht und erlebt die Unterstützung von Freunden und Familie, aber es gibt so viele Leute in und ausserhalb der Schweiz, die an mich glauben. Das gibt Motivation, Kraft und Freude. Zu wissen, dass ich für andere ein Vorbild bin, motiviert mich zudem dabei, weiterzukommen. 

Du hast dich für Tokyo 2020 (neu 2021) qualifiziert – herzliche Gratulation! Karate wurde für diese eine Ausgabe ins Programm aufgenommen, an den darauffolgenden Spielen ist die Sportart jedoch bereits nicht mehr im Programm. Hat dies den Druck in der Qualifikationsphase erhöht?

Es ist wahrscheinlich schon so, dass ich den Druck aufgrund der Einmaligkeit dieser Chance unbewusst als etwas höher empfand. Als Karate olympisch wurde, haben alle anderen Nationen angefangen, noch professioneller zu arbeiten. Dies hat auch den Konkurrenzdruck gesteigert. Im Vergleich zu anderen Nationen wie Frankreich oder Aserbeidschan ist das Karate in der Schweiz noch nicht gleich professionalisiert. Aus diesem Grund lebe und trainiere ich auch in Spanien, wo ich bessere Rahmenbedingungen habe als in der Schweiz.

Welchen Rat möchtest du jungen Athletinnen und Athleten in Bezug auf Mentaltraining mit auf den Weg geben?

Dass man sich aktiv um seine mentale Gesundheit kümmern muss. Im Spitzensport, und gerade auch im Kampfsport, dominiert oft der Gedanke, dass man immer stark sein muss und gegen aussen weder Unsicherheit noch Schwäche zeigen darf. Es ist jedoch keine Schwäche, sondern eine Stärke, Unsicherheiten, Ängste und Sorgen zuzugeben und anzusprechen. Denn dann kann man daran arbeiten, besser werden, seine Leistung steigern. Wichtig ist sicher, dass man die richtige Vertrauensperson findet, der man sich anvertrauen kann und von welcher man ernst genommen wird – sei dies ein Trainer, eine ältere Athletin oder eine Physiotherapeutin. Fragen nach Hilfe und Unterstützung ist keine Schwäche, sondern eine sehr, sehr grosse Stärke.

Posted in: Kampfsport Insights